Vorwort

Die Schweiz verfügt über eine erstaunlich lebendige Medienszene, wie die Ausgabe 2022 unseres Medienqualitätsratings (MQR-22) dokumentiert. Es ist im aktuellen Erhebungszeitraum wiederum zu bemerkenswerten Qualitätsverschiebungen gekommen. Die Coronapandemie mit ihren gesundheitlichen, gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen war für den Journalismus eine Vitalitätsspritze. Die Pandemie stellte eine gewaltige Zäsur für Gesellschaft und Medien dar und zeigte, dass Qualität im Journalismus von entscheidender Bedeutung ist, wenn eine neue Realität über die Gesellschaft hereinbricht. Der Krieg in der Ukraine verstärkt diesen Befund und stärkt die Rolle der traditionellen Informationsmedien im digitalen Zeitalter hoffentlich auf Dauer.

Generelle Entwicklung der MedienqualitätDie meisten Tages- und Onlinezeitungen sowie die SRG-Sendungen konnten sich in drei von vier Qualitätsdimensionen verbessern. Sie weisen – im Vergleich zu der Zeit vor Corona – eine höhere Relevanz auf, mehr Einordnung und eine gestiegene Professionalität. Dem gegenüber stehen schwerwiegende Verluste in der Dimension der Vielfalt.

Alle privaten Fernsehsendungen konnten ihre Qualität steigern, am stärksten die Nachrichtensendung Le Journal von Léman Bleu. Auch die übrigen Regionalsendungen haben sich gut geschlagen: TeleBärn, Tele 1, Tele M1 und TeleZüri konnten ihre Gesamtscores gegenüber der vorherigen MQR-Ausgabe verbessern. Dies ist wichtig angesichts der sinkenden Medienvielfalt, ausgelöst durch den Zentralisierungsprozess in den grossen Verlagshäusern. In der mehrsprachigen und kleinräumigen Schweiz hat der Privatrundfunk eine hohe lokalregionale Bedeutung, die keinesfalls unterschätzt werden darf – auch angesichts der dominanten SRG-Nachrichtensendungen, welche zwar die Leuchttürme der Qualität in der Schweizer Medienlandschaft bilden, aber oftmals aus einer Zentralperspektive berichten, bei SRF etwa aus Zürich geprägt.

Erfreulich, dass auch die Boulevard- und Pendlerzeitungen die Coronapandemie genutzt haben, um komplexe Themen einem breiten Publikum lebensnah zu vermitteln. Sämtliche Boulevard- und Pendlerzeitungen konnten ihre Berichterstattungsqualität in den letzten beiden Jahren steigern. Vor allem das Nachrichtenportal watson.ch, dem mancher Medienexperte einen raschen Tod voraussagte, zeigt eine eindrückliche Bilanz. Nach einem Knick im Jahr 2018 konnte watson.ch seine Qualität rasant steigern und zieht neu den anderen Medientiteln der Vergleichsgruppe davon.

Zu den Qualitätsaufsteigern gehören dieses Mal die Sonntagszeitungen und Magazine. Der nie abreissende Strom an Meldungen (wie steigenden Inzidenzen), an Meinungen (von tatsächlichen und vermeintlichen Experten) und an Emotionen (zum Beispiel über den Sinn und Unsinn von Schutzmassnahmen) führte verstärkt zum Paradox, dass trotz Informationsfülle sogleich zu vergessen droht, was soeben gelesen, gesehen oder gehört wurde. Der französische Philosoph und Medienkritiker Paul Virilio sprach in diesem Zusammenhang vom rasenden Stillstand. Den Sonntagszeitungen und Magazinen ist es gelungen, diesen rasenden Stillstand zu durchbrechen – sämtliche Titel können ihren Gesamtscore gegenüber der vorherigen MQR-Ausgabe verbessern. Auffallend sind ausserdem die hohen Zugewinne in der Publikumsgunst bei der Weltwoche und der WOZ; in turbulenten Zeiten werden Medien mit klarem publizistischem Profil von ihrem Publikum offenbar geschätzt.

Neue Kennzahl zum gesellschaftlichen ImpactDas erste Rating zur Qualität der wichtigsten Informationsmedien der Schweiz ist 2016 erschienen. In dieser Zeit hat sich die Medienlandschaft stark verändert. Doch auch das MQR selbst muss sich weiter entwickeln. Die Debatte um Sinn und Zweck staatlicher Medienförderung bleibt auf der politischen Agenda. Deshalb wird das Medienrating um eine Kennzahl ergänzt: Der neue Impact-Score weist die Wirkstärke der untersuchten Medientitel aus, die diese auf die Meinungs- und Willensbildung ausüben. Hierbei wird der Fokus auf die Politik- und Wirtschaftsberichterstattung gelegt. In den Impact-Score fliessen zu gleichen Teilen zwei Faktoren ein: zum einen die Reichweite und Nutzungshäufigkeit, zum anderen der Informations- und Verständnisgewinn bei politischen und wirtschaftlichen Themen. Denn mit Qualität allein erzielen Medientitel keine gesellschaftliche Wirkung. Sie müssen auch gelesen, geschaut oder gehört und ihre Beiträge müssen verstanden werden. Nur so können sie Wirkung erzielen, also einen sogenannten Impact haben.

Ein herzliches Dankeschön gebührt den ausführenden Instituten, unseren Vereinsmitgliedern, dem Vorstand und den Donatoren (Liste der Donatoren); sowie allen Helferinnen und Helfern, die mit ihrer grossartigen Unterstützung dieses Werk ermöglicht haben.

September 2022


Andreas Durisch,
Gründungsmitglied Stifterverein Medienqualität Schweiz



Das goldene Q erhalten die jeweiligen Gruppensieger sowie jenes Medium,
das gegenüber 2020 am meisten Qualitätspunkte dazugewonnen hat.

Gruppensieger 2022:
  • Neue Zürcher Zeitung (Vergleichsgruppe: Tages- und Onlinezeitungen)
  • WOZ Die Wochenzeitung (Vergleichsgruppe: Sonntagszeitungen und Magazine)
  • watson.ch (Vergleichsgruppe: Boulevard- und Pendlerzeitungen)
  • SRF – Echo der Zeit (Vergleichsgruppe: Radio- und Fernsehsendungen)
Aufsteiger 2022:
  • Léman Bleu – Le Journal